Der IWF - nur begrenzt lernfähig

Seit dem Amtsantritt des Reformdirektors Strauss-Kahn gibt es Schritte, die zu würdigen sind. In zentraler Hinsicht lässt die Reformfähigkeit des IWF jedoch nach wie vor zu wünschen übrig. Foto: WEF Lizenz: CC-BY-SA

15. April 2011
Barbara Unmüßig und Rainer Falk
Von Barbara Unmüßig und Rainer Falk

Man kann dem Internationalen Währungsfonds (IWF) einige Vorhaltungen machen, aber ein Mangel an diskursiver Offenheit gehört sicherlich nicht dazu. Der IWF bleibt am Ball, wenn es darum geht, Schlussfolgerungen aus der Finanzkrise zu ziehen. Er hat die vergangenen beiden Jahre genutzt, um seine eigene Rolle vor der Krise kritisch zu hinterfragen. Dabei wurden einige althergebrachte Dogmen über den Haufen geworfen. Allerdings bleibt die Frage, wie weit der Wandel diskursiv bleibt oder einen wirklichen Aufbruch für die praktische und operative Politik des Fonds vor Ort markiert.
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Vor der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank Ende dieser Woche in Washington hat der Fonds einige Zeichen gesetzt: Zunächst hat Anfang des Jahres eine Untersuchung des Unabhängigen Evaluierungsbüros (IEO) beim IWF für Aufsehen gesorgt. Dem IWF wurde gründliches Versagen bei der Voraussage der Finanzkrise attestiert und natürlich auch seine Unfähigkeit beklagt, die Krise mit präventiven Maßnahmen abzuwenden.


Glasnost im IWF-Denken?


Im März machte der IWF Furore mit einer Konferenz über Makropolitik und Wachstum. An führender Stelle mit von der Partie waren Michael Spence (Stanford), Joseph Stiglitz (Columbia) und Dani Rodrik (Harvard) – alles Ökonomen, die auch bislang schon den wirtschaftspolitischen Mainstream, wie ihn der IWF lange Zeit verkörperte, in Frage stellten. Selbst eingefleischte Kritiker rühmten die Tagung als Ausdruck von "Glasnost im IWF-Denken".

Anfang April schließlich erklärte der Geschäftsführende Direktor des IWF, Dominique Strauss-Kahn, dass der Washington Consensus "jetzt hinter uns liegt". Jenes simple Mantra also, dass Deregulierung und Liberalisierung, Privatisierung und Inflationsbekämpfung schon dazu führen würden, dass der Wohlstand aller steigt. Im Gegensatz dazu forderte Strauss-Kahn eine neue Globalisierung mit sozialer Inklusion und Kohäsion und eine neue Global Governance, die auf multilaterale Kooperation setzt und damit die wichtigste Lehre aus der Finanzkrise und der anschließenden Großen Rezession zieht.

Es wäre verfehlt, diesen neuen Diskurs als bloße Rhetorik abzutun. Denn mit ihm einher gehen durchaus reale Veränderungen in der Politik des Fonds. Jüngstes Beispiel: die Kehrtwende des IWF in Bezug auf Kapitalverkehrskontrollen. Nach der Asienkrise Ende der 1990er Jahre noch strikt abgelehnt, hält der IWF jetzt solche Kontrollen oder Regulierungen des internationalen Kapitalverkehrs für legitim. So willkommen diese Kehrtwende angesichts der neuen Welle volatiler Kapitalflüsse ist, von der vor allem die Schwellenländer überschwemmt werden – der IWF wäre nicht der IWF, wenn er nicht im selben Atemzug Bedingungen stellen und für sich selbst eine Überwachungsrolle reklamieren würde. So sollen beispielsweise nur Länder, deren Währung nicht unterbewertet ist, zu Kapitalverkehrskontrollen greifen dürfen. Nach dieser Lesart hätten Brasilien und die Türkei Vorteile, China dagegen nicht.

Der IWF als Mahner

Diese Wende ist nur ein Beispiel. Der neue World Economic Outlook enthält Kapitel über "unberechenbare Kapitalflüsse" und schwankende Rohstoffpreise, die eingedämmt werden müssen, wenn der konjunkturelle Aufschwung nicht durch eine erneute Krise abgelöst werden soll. In seinem neuen Bericht zur Finanzstabilität fordert der IWF sogar eine stärkere finanzielle Beteiligung der systemisch wichtigen Banken an den Kosten künftiger Finanzkrisen – sei es "durch einen Kapitalaufschlag, eine Gebühr, eine Steuer oder eine Versicherungsprämie". Die konkrete Ausgestaltung lässt der Bericht offen, aber sein Direktor fordert inzwischen regelmäßig einen Beitrag der Finanzmärkte – ein Mittelding zwischen Finanztransaktionssteuer und Bankenabgabe.

Während die Regierungen zur Tagesordnung übergehen, gehört der Fonds inzwischen zu den wenigen, die mahnen, dass die Schritte zur Regulierung der Finanzmärkte, die bislang ergriffen wurden, bei weitem noch nicht ausreichen und dass vor allem das System der Schattenbanken einem effektiven Regulierungsrahmen unterworfen werden muss.

Die Finanzkrise und die vielfältigen Reaktionen des IWF darauf haben dazu geführt, dass der Fonds jetzt an einem Scheideweg angelangt ist: Nachdem seine Finanzausstattung im Gefolge von G-20-Beschlüssen kräftig aufgestockt wurde, steht eine inhaltliche Neuausrichtung an. Dazu gehören auch ein neues Verhältnis zu Überschuss- und Defizitländern unter den Mitgliedern und ein anderer Umgang mit den finanzstärksten Mitgliedern des Fonds.

Dass der neue Fiscal-Monitor-Bericht des IWF jetzt erstmals auch das Rekorddefizit der USA scharf kritisiert und nicht nur die Überschuldungstendenzen in den kleineren Mitgliedsländern, ist vielleicht ein Anfang. Die jüngsten Governance-Reformen des Fonds, durch die sich die Stimmverhältnisse gerade mal um drei Prozent zugunsten der Schwellenländer verschoben haben, verdienen dieses Prädikat allerdings nicht. Kein Wunder also, dass die Entwicklungsländer zu weiteren Reformen bei den Stimmverhältnissen zu ihren Gunsten drängen.


Züge der alten Politik

Seit dem Amtsantritt des Reformdirektors Strauss-Kahn gibt es Schritte, die zu würdigen sind. In zentraler Hinsicht lässt die Reformfähigkeit des IWF jedoch nach wie vor zu wünschen übrig. Mit Verve ist der Fonds in der Finanzkrise nach Europa zurückgekehrt. Doch gerade auf diesem Terrain trägt der IWF Programme mit, die unverkennbar die Züge der alten Politik tragen: Prozyklische Sparpolitik statt großzügiger Überbrückung von Zahlungsengpässen, Zwang zu interner Abwertung (per Absenkung von Löhnen und Gehältern sowie Kürzung von Sozialausgaben) statt weitsichtiger Vorbereitung auf ein unabhängiges internationales Schiedsverfahren, das auch den europäischen Krisenländern einen echten Neuanfang ermöglichen würde. Dass der IWF hier der weitaus konservativeren Europäischen Kommission und den sie dominierenden Regierungen das Feld überlässt und auch Strauss-Kahn nicht mehr einfällt als das übliche We stand ready  – wie aktuell im Falle Portugals –, das ist wahrlich kein Ruhmesblatt für den französischen Sozialisten.


Barbara Unmüßig ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung.  Rainer Falk ist Herausgeber des Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung. Zusammen bloggen sie bei Baustellen der Globalisierung.
Dieser Artikel erschien zuerst auf Zeit Online.